Die Schrecken des Dorfes und der Windkraft
„Der Weltuntergang hat hier bereits stattgefunden." Das sagt der alte Kron und der muss es wissen, denn er ist einer der in Unterleuten geboren wurde und das Dorf nicht verlassen hat. Als Kind hat er den Krieg erlebt, als Heranwachsender den Klassenkampf, als Erwachsener die kollektivierte Landwirtschaft der DDR, dann den Mauerfall, den Zuzug der Städter, Investoren, Bodenspekulanten. Das alles hat ihn nicht langmütiger gemacht, ganz im Gegenteil. Kron ist ein Griesgram, ein Windmühlenkämpfer, ein „ewig Gestriger" sagen die Leute im Dorf. Kron, mit seinem kaputten Bein, seiner Krücke und seiner Liebe zum Wald ist eine der Figuren in Juli Zehs Roman, der keinen Protagonisten kennt, sondern ein knappes Dutzend gleichberechtigter Stimmen, die alle ihr Leben haben, ihre Geschichte und ihre Sicht auf die Welt.
Da gibt es Gombrowski, den Sohn der ehemaligen Großgrundbesitzer, der die landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft aus DDR-Zeiten nach der Wende zu einem Betrieb umgewandelt hat, der biologische Landwirtschaft betreibt. Dessen Frau, die seit Jahrzehnten im Bewusstsein lebt, dass das „geschminkte Rhesusäffchen" im Nebenhaus die Geliebte ihres Mannes ist. Es gibt die junge wie taffe Pferdetrainerin aus dem Westen, die ihre Erfolgsweisheiten dem Buch eines Ratgebergurus entnimmt, nebst Freund, der sein Geld mit dem Programmieren von Computerspielen verdient. Es gibt den ehemaligen Dozenten für Sozialwissenschaften aus Berlin, der nun Vogelschützer ist. Er hat seine universitäre Sackgasse gegen die Verantwortung für Kampfläufer eingetauscht, „fleckige Vögel von der Größe und Statur einer Mülltüte". Fließ, so heißt er, bewohnt mit seiner jungen Frau, die nahezu ausschließlich im Universum der Mutterschaft lebt, ein Haus neben Schaller, der bei einem Unfall sein Gedächtnis verloren hat. Was Schaller allerdings nicht verloren hat, ist seine Loyalität zu Gombrowski und weil der Vogelschützer den Biobetriebsvorsitzenden nervt, verbrennt der Schaller seine Altreifen an der Grundstücksgrenze. Es gibt den Investor aus Bayern mit drogenabhängigem Sohn. Und es gibt den Bürgermeister, dessen einziger Stolz die örtliche Horizontalfilterbrunnen-Anlage ist. So ein Windpark, weiß er, würde die Gemeindekasse sanieren, der Besitzer des Grundstückes wäre ohne zu arbeiten bald reich.
Als auf den Feldern von Unterleuten ein Windpark errichtet werden soll, brechen alte Gräben wieder auf und neue kommen dazu. Kron, der Exkommunist, auf der einen Seite, Gombrowski, der Kapitalist, auf der anderen Seite. Aber so einfach ist das nicht, jeder hat seine Geschichte, seine Vergangenheit, seine Gründe, seine Sturheit beide haben sie ihren uralten, gewachsenen Streit. Irgendwo liegt immer eine Leiche im Keller oder auf den Feldern oder im Wald. Bald ist es nicht mehr ein Lagerkampf zwischen den Lieblingsfeinden, weil auch die Zugezogenen mitmischen und das, obwohl sie weder die Regeln beherrschen noch die Zusammenhänge verstehen. Jeder kennt alles, aber alles nur vom Hörensagen und macht sich sein eigenes Bild. Alle reden, aber nicht miteinander und viele spielen ein falsches Spiel. Die Spirale dreht sich und auch wenn über Unterleuten der ersehnte Regen zur rechten Zeit ausbleibt, herrscht angespannte Gewitterstimmung im Dorf.
Unterleuten mag ein Dorf sein, in dem es keine Kanalisation und keine Gehwege gibt, dafür florieren Tratsch und Klatsch und Geglaubtes und Vermutetes, Gesagtes – aber vor allem das Ungesagte ist es, was schließlich zur Katastrophe führt. Etwas geschieht und jeder macht sich seinen Reim darauf, damit daraus noch Schlimmeres passieren kann.
Juli Zeh kennt sich aus mit dem Dorf. Sie selbst hat vor Jahren Leipzig den Rücken gekehrt und sich ein Haus in einer 300 Seelengemeinde in Brandenburg gekauft. Sie weiß, dass solche Orte ihre eigenen Gesetze haben. In ihrem fiktiven Unterleuten sind diese Gesetze einzementiert. Da wird nicht die Polizei bemüht, kein Anwalt, kein Richter, hier richten (es sich) die Menschen selbst. Im Guten, wie in der Bösartigkeit. Ein Kind verschwindet, der Universitätsdozent, jetzt Vogelschützer, entdeckt die Selbstjustiz, ein vergessener Polster auf der Fensterbank hat fatale Folgen.
Juli Zeh schafft es in diesem Roman einen Sog zu erzeugen, der uns LeserInnen bis an den Rand der Windhose zieht. Überzeugungen, Beziehungsgeschichten, Ehekrisen, Ernteausfälle, Neurosen, Ehrgeiz, Egozentrismus, falsch verstandene Loyalität und das Fehlen einer örtlichen Kanalisation verwebt Juli Zeh genauso gekonnt in diesem Roman, wie eine umfassende Gesellschaftskritik. Wenn in Unterleuten Menschen und deren Überzeugungen aufeinanderprallen, sich der Haifischkapitalismus mit dem Selfie-Wahn trifft, die Stadtflucht der Landflucht begegnet und Klimaschutz zum reinen Spekulationsobjekt verkommt, dann ist das alles nicht nur Fiktion. Es hat, selbst wenn wir es nicht wollen, über weite Strecken auch etwas mit uns zu tun.
Unterleuten, Roman von Juli Zeh ist im Luchterhand Literaturverlag erschienen.
http://www.randomhouse.de/Verlag/Luchterhand-Literaturverlag/24000.rhd
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