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Donnerstag, 21. November 2024

Das Flüstern der Bäume

Pflanzen können sprechen. Nicht nur im Märchen. Sie kommunizieren untereinander, mit ihren Artgenossen, mit Tieren und manchmal reden sie auch nur mit sich selbst. Ein Streifzug durch die Kommunikationswissenschaften der Stummen.

Das Flüstern der Bäume - Wald

„Hier müsst ihr graben. Hier, unter meinen Wurzeln liegt die goldene Schale", sagt der Baum zu den drei Brüdern im Wald. Sie graben und finden den Schatz. „Nehmt mich als Türpfosten", sagt der selbe Baum, als sie in den Wald zurückkehren, um ihn zu fällen. Die Brüder tun, wie ihnen geheißen und bald stehen mehr Pferde und mehr Kühe auf ihrem Hof. Wenn in einem finnischen Märchen ein Baum zu drei armen Bauern spricht, dann klingt es wie eine Selbstverständlichkeit. Gehört es doch in die Welt der Geschichten, der Sagen und Fabeln, der Mythologie. Ian Baldwin braucht man gar nicht erst zu fragen, ob Pflanzen sprechen können. Ian Baldwin ist davon überzeugt – aus wissenschaftlicher Sicht. Seit Jahrzehnten forscht der Direktor am Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie in Jena zum Thema pflanzliche Kommunikation. Wenn er über die Ergebnisse seiner Arbeit spricht, klingen Fakten wie Geschichten aus einem Märchenbuch. „Hilfe!" schreit der wilde Tabak in der Mojave-Wüste im Südwesten von Utah, wenn die Raupen des Tabakschwärmers in seine Blätter beißen. Selbstverständlich können wir diesen Hilferuf nicht hören, ganz einfach deshalb, weil er nicht aus Schallwellen besteht. Aber uns Menschen gilt diese Botschaft auch nicht. Der wilde Tabak schüttet flüchtige Enzyme aus mit denen er Raubwanzen und Schlupfwespen anlockt. Diese Tiere sind die Feinde seiner Fressfeinde. Das hilft! Ähnliches geschieht im heimischen Maisfeld. Auch der Mais lockt mit einem Duftstoff Schlupfwespen an, wenn er Unterstützung im Kampf gegen fressende Raupen braucht.

Das Flüstern der Bäume - Ahorn HerbstDas Flüstern der Bäume - Ahorn Herbst

Was Mais und Tabakpflanzen können, können andere Pflanzen ebenfalls. Bohnen melden ihrer Verwandtschaft, wenn Läuse im Anmarsch sind und im Krüger Nationalpark in Südafrika spielt sich täglich folgende Szene ab: Eine Gruppe von Antilopen nähert sich einer Akazie. Sie knabbert genüsslich an deren Blättern und zieht weiter zum nächsten Baum. Doch dort schmecken die Blätter nicht, beim nächsten Baum auch nicht und beim übernächsten ebenfalls nicht. Was ist passiert? Die Antwort darauf kennt Dieter Volkmann, emeritierter Professor vom Institut für Zelluläre und Molekulare Biologie der Universität Bonn. Die angeknabberte Pflanze hatte Äthylen ausgestoßen, ein gasförmiges Molekül. In dieser Form wurden die umstehenden Akazien gewarnt und haben den Gerbstoffanteil in ihren Blättern drastisch erhöht. Dieses „Gewürz" mögen und vertragen die Antilopen nicht.

Das Flüstern der Bäume - Gräser im WaldDas Flüstern der Bäume - Baumstamm

Über Tomatenpflanzen wussten die Wissenschaftler ähnliches zu berichten. Unklar war nur, wie dieses Warnsystem genau funktioniert. Eine japanische Forschergruppe rund um Kenij Matsui scheint seit kurzem die Frage beantworten zu können. Sie untersuchte streng isolierte Tomatenpflanzen, die in einem Labor gezogen wurden in dem auch exakt messbare Luftströmungen vorzufinden waren. Als sie auf einige Blätter der Pflanzen Asiatische Baumwollwürmer setzten, zeigte die Luftanalyse über ihnen die Konzentration einer Chemikalie, von der man weiß, dass sie das Wachstum der Schmetterlingslarven hemmt.

Das Flüstern der Bäume - Herbstlaub

Pflanzen kommunizieren, das ist ein Faktum. Als 1983 Forscher zum ersten Mal behaupteten, dass bestimmte Baumarten ihre Nachbarn vor Insekteninvasionen warnen können, gehörte die Vorstellung, dass Pflanzen sprechen können noch in die Welt der Esoterik, des Märchens und der Phantasie. Die Behauptung, Pflanzen besäßen die Fähigkeit zur Kommunikation, war damals eine mittlere Sensation. Über 30 Jahre Forschungsarbeit später weiß die Wissenschaft: Pflanzen unterhalten sich selbstverständlich nicht wie wir es tun. Sie verständigen sich auch nicht wie Tiere. Sie haben ein viel raffinierteres System: Sie scannen ihre Umgebung und reagieren darauf. Knapp 20 Umweltfaktoren sind den Forschern heute bekannt, die von Pflanzen ständig überprüft und verarbeitet werden. Nährstoffe, Feuchtigkeit, Temperatur, Duftstoffe und Licht gehören dazu. Gemauschelt wird auch im Untergrund. Derzeit gilt ein Hauptinteresse der Wissenschaft den Mykorrhizen. Das sind riesige unterirdische Netzwerke miteinander verflochtener Pilze und Wurzeln. Auf einer Schaufel gesunder Erde befinden sich Kilometer solcher Verflechtungen, in Wäldern verbinden sie Bäume über eine Distanz von 30 Metern, angenommen wird, dass dieses Netzwerk sich über die gesamte Landfläche der Erde spannt. Die Pilze als Postboten und Überbringer von Information? Die Fäden der Pilze dringen in die Wurzelzellen von Pflanzen ein und verwachsen mit ihnen. So entsteht eine Verbindung von einer Wurzel zur anderen und so weiter und so fort. Der Informationsaustausch funktioniert über, im Wasser lösliche Botenstoffe, die von den Pilzen an die Wurzel weitergegeben werden. Wo gibt es Nährstoffe, wo lauert Gefahr, sind Feinde im Anmarsch, wurde irgendwo Dünger verteilt? Manche Biologen weisen sogar auf soziale Strukturen innerhalb der Flora hin. Angeblich erkennt über dieses Mykorrhizen-System beispielswiese eine Buche, ob der kleine Spross auf der Lichtung aus ihrem Samenkorn stammt.

Das Flüstern der Bäume - Ahorn HerbstDas Flüstern der Bäume - Herbst Wald

Dass die Forscher auf Wildpflanzen zurückgreifen hat übrigens seinen Grund: Viele moderne Kulturpflanzen haben die Fähigkeit zur Kommunikation verloren. Sie wurden gezüchtet und sind stumm und taub. Weder besitzen sie die Fähigkeit, Signale zu senden noch jene, sie zu verstehen. Sie schaffen es auch kaum, sich selbst zu schützen. Nicht so, wie die rotfrüchtige Zaunrübe, auch so ein Lieblingskind der Mikrobiologie. Sie reagiert auf zu viel Licht mit dem Ausbilden von Pigmenten und diese wiederum wirken wie eine Sonnencreme. Bemerkt sie auf ihren Blättern einen Pilzbefall, dann schüttet sie Salicylsäure aus. In der Humanmedizin läuft dieser Stoff unter Aspirin. Die Unfähigkeit der Kommunikation moderner Kulturpflanzen ist mit ein Grund, warum Ian Baldwin vor seinen Tabakpflanzen in der Wüste von Utah sitzt. Er versucht herauszufinden, warum eine Pflanze plaudert und die andere nicht. Denn wenn alle das können, kann sich der Mensch das Ausbringen von Pestiziden, Fungiziden und künstlichen Düngemitteln endgültig ersparen. Let’s dream of a better world.

Das Flüstern der Bäume - Herbst Wald

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